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Zwischen Wundermittel und Einstiegsdroge: Cannabis in der MedizinWerden die medizinischen Effekte von Cannabis sowohl von Gegnern als auch Befürwortern überschätzt?
Deutschland ist in den letzten Monaten wieder hochgeschwappt. Im medizinischen Bereich wird Cannabis währenddessen in Deutschland bereits eingesetzt. Allerdings ist die Benutzung von medizinischen Cannabis gesetzlich stark eingeschränkt. Die einzige Krankheit für die es als Fertigarzneimittel zugelassen ist, ist multiple Sklerose. Das ist eine Erkrankung des Nervensystems. Sie verursacht krampfartige und spastische Schmerzen. Cannabis hilft bei sogenannten neuropathischen Schmerzen, bei Nervenschmerzen, die bei Erkrankung oder Verletzung des Nervensystems entstehen. Wie im Falle von multipler Sklerose.
Droge gegen Appetitlosigkeit
Das seien allerdings nicht die einzigen medizinischen Verwendungszwecke für Cannabis, erklärt Winfried Meißner, Bereichsleiter der Schmerztherapie am Universitätsklinikum Jena. „Einer der wichtigsten, oder zumindest am besten untersuchten und nachgewiesenen, Effekte ist die Appetitsteigerung“, sagt Meißner. Hilfreich sei das zum Beispiel bei Tumorpatienten, die unter Gewichtsverlust und Appetitlosigkeit leiden. Hinzu komme, neben der Linderung gewisser Schmerzen, auch eine Besserung bei Übelkeit oder spastischen Krämpfen. Die Wirkstoffe, die beim Cannabis für diese Effekte verantwortlich sind, heißen Cannabidiol und Tetrahydrocannabinol. Wie genau sie aber auf den menschlichen Körper wirken, sei noch nicht erforscht, räumt Meißner ein. Der menschliche Körper besitzt eine große Anzahl an Rezeptoren, also Stellen, an denen die Wirkstoffe von Cannabis zu einer Reaktion führen. Diese große Anzahl macht es schwierig zu erklären, wieso manche Effekte eintreten oder wieso nicht und welche Wirkstoffe genau dafür verantwortlich sind. „Das Ziel“, erklärt Winfried Meißner „wäre es, Wirkstoffe herauszufinden, die nur erwünschte Wirkungen haben und damit unerwünschte Effekte zu vermeiden. Aber da stehen wir noch relativ am Anfang.“ Hinzu komme noch, dass sich nicht alle Effekte bei allen Patienten einstellten. Vor allem beim Einsatz von Cannabis als Schmerzmittel variieren die Ergebnisse. „Unser Eindruck ist, dass die Hoffnung, die in Cannabinoide als Schmerzmittel gesetzt werden, oft etwas unrealistisch sind“, meint Meißner. Zwar lassen sich durch Cannabis vereinzelt Erfolge bei der Behandlung von Schmerzen bei Querschnittslähmung, Unfällen oder bei Nervenerkrankungen bei AIDS-Patienten finden, allerdings nicht bei der Mehrheit der Patienten.
Schmerzlinderung nicht bei jedem Patienten
„Eine kleinere Gruppe profitiert sehr gut vom Einsatz von Cannabis als Schmerzmittel“, sagt Meißner. Bei Studien zeige sich aber, dass im Durchschnitt der Effekt auf die Schmerzlinderung nicht sonderlich gut sei, bei vielen Patienten zeigen sich keine Effekte. Das sei auch der Grund, wieso Cannabis nicht als Schmerzmittel erster Wahl eingesetzt werde. Ein Vorteil von Cannabis als Schmerzmittel sind aber die relativ geringen kurzfristigen Nebenwirkungen, die es aufweist. „Banal könnte man sagen, dass es ein relativ schwachwirkendes Schmerzmittel ist, es auf der anderen Seite aber relativ wenig Nebenwirkungen hat“, erklärt Meißner. Langfristig könnten jedoch gewisse psychische Veränderungen eintreten, zum Beispiel ein Verlust an Interesse an anderen Aktivitäten neben dem Konsum von Cannabis oder zunehmende Rückzugstendenzen. Manche der physischen Nebenwirkungen könnten auch verängstigend auf die Patienten wirken und sie, ihre Familien und ihr Umfeld belasten, sagt Meißner. Dafür zeigten sich aber keine ausgeprägten körperlichen Abhängigkeiten wie bei Opiaten oder Schädigungen von Organen wie bei manchen Rheumamitteln. „Wir haben den Eindruck, dass die Befürworter die Wirkung deutlich überschätzten und die Gegner die Nebenwirkungen deutlich überschätzen“, erklärt Winfried Meißner.