Hier mal was für Leseratten
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ZitatAlles anzeigenEinen Trip ins Wunderland verspricht uns Alexander Krützfeldt, der als "Anonymus" ein Buch über "die dunkle Seite des Internets" geschrieben hat. Leider kratzt es nur an der Oberfläche.
...fortsetzung
Schnell muss es gehen. Nur ein paar Wochen hat der Journalist Alexander Krützfeldt Zeit, dann soll "Deep Web" fertig sein, sein Sachbuch über "die dunkle Seite des Internets". Also setzt er sich vor seinen Computer und erzählt, wie er Kaffee trinkt. Im Schnitt vergehen rund 16 Seiten, bis wieder eine Kaffeetasse beschrieben, geleert oder das stärkende Getränk zubereitet wird.
Es ist die Geschichte einer Recherche: Um das Tor-Netzwerk soll es gehen, das anonyme Netzwerk, mit dessen Hilfe Dissidenten, Journalisten, Hacker und Kriminelle einigermaßen sicher und unentdeckt kommunizieren können.
Der Autor raunt von den Abgründen, die sich in diesem dunklen Teil des Internets verbergen sollen, von Drogen, Waffen und Killern, die sich mit einem Mausklick bestellen lassen. Denn im Tor-Netzwerk lassen sich auch Webseiten verstecken, sogenannte "Hidden Services". Eine der bekanntesten war "Silk Road", ein Ebay für Drogen, dessen Geschichte hier noch einmal nacherzählt wird.
Neue Elite will keine Auskunft geben
Von Fahndern lässt er sich außerdem erzählen, was für Abgründe an Kindesmissbrauch sie im dunklen Teil des Internets finden. Vom Kriminalexperten Arnd Hüneke erfährt er aber, dass sich generelle Aussagen über Tor nicht treffen lassen. Das anonyme Netzwerk könnte zur Bereitstellung neuen Materials dienen, das dann in geschlossenen Netzwerken getauscht wird. Aber nichts Genaues weiß man nicht.
Es ist kompliziert, stöhnt Krützfeldts anonymer Autor, und dass Strafverfolgung im Internet unbedingt nötig sei. Viel mehr kommt dabei leider nicht herum. Der Autor kratzt an der Oberfläche, wirbelt ein paar urbane Mythen auf und gibt sich dabei ganz "hard boiled". Fast schon enttäuscht ist er, dass nicht einmal Internetfahnder das anonyme Netzwerk verteufeln oder gleich dessen Abschaffung fordern.
Niemand wolle in die Diskussion mit Datenschützern und Aktivisten geraten, vermutet er und ist frustriert, dass ihm Hacker und Journalisten nicht sofort bereitwillig über alles Auskunft geben. Dabei hat er doch solchen Zeitdruck! Aber vielleicht liegt es gar nicht an ihm? Vorsorglich schimpft er auf Journalisten, die das Tor-Netzwerk nutzen. Die seien nicht neutral, würden die "Sprache der Kombattanten" sprechen. Und die Hacker seien eben eine neue Elite, die ihr Wissen nicht mit jedem teilen wolle.
"Trip ins Wunderland"
Darauf noch einen Kaffee. Bei der hektischen Recherche - mehrmals drängt ein gewisser "Tom" vom Verlag, dass das Manuskript abgegeben werden muss - sind Krützfeldt in der Gestalt von Anonymus ein paar Dinge durcheinander geraten: Google verkauft angeblich die Handynummern seiner Kunden an britische SMS-Spammer, und ein fehlendes Bewusstsein für Datenschutz soll schuld daran sein, dass in den USA häufiger Kreditkartendaten im Netz landen.
Da wüsste man dann doch gerne die Quellen. Die fehlen aber genauso wie Links auf Artikel und Texte im Netz, aus denen sich Anonymus offenbar bedient hat.
"Es ist ein abenteuerlicher Trip ins Wunderland geworden", lässt Krützfeldt seinen Anonymus zum Ende hin schreiben. Na ja. Wer noch nie vom "Deep Web" gehört hat, kann sich von diesem Buch ein bisschen erschrecken lassen. Alle anderen dürfen sich fragen, was uns Krützfeldt eigentlich sagen will - und werden Einordnung und Analyse vermissen.
Anonymus: Deep Web. Die dunkle Seite des Internets. Blumenbar-Verlag; 220 Seiten; 17,99 Euro.
Quelle:spiegel.de