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hier mal was aus der deutschen Hauptstadt:
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BERLIN-KREUZBERG - 18.10.14
"Es geht uns nicht um ein Happy-Kiffer-Land"
Kreuzberg hat ein Problem mit Drogendealern. Die Grüne Bezirksregierung will Coffeeshops eröffnen und den Drogenverkauf entkriminalisieren. Besuch bei einem Planungsworkshop.
Die gute Nachricht vorweg: "Das Imperium bricht von innen zusammen." Langsam zwar, aber stetig. Zumindest wenn man den Worten von Georg Wurth, dem Vorsitzenden des Deutschen Hanf Verbandes glauben will, der am Freitag anlässlich der "Zunkunftswerkstatt [lexicon]Cannabis[/lexicon]" im Rathaus von Berlin-Kreuzberg über die Legalisierung von [lexicon]Cannabis[/lexicon] sprach. Die Hoffnung auf den Zusammenbruch des Imperiums gehört in Berlin-Kreuzberg traditionell zum politischen common sense. Deswegen reagierte niemand verwundert, als Wurth vom Rednerpult aus dem Plenarsaal voller Zuversicht verkündete: "So 15 Jahre vielleicht noch". Auf eine genauere Prognose wollte er sich dann doch nicht festlegen.
Mit dem "Imperium", meint er vor allem die USA. Denn die hätten die längste Zeit eine restriktive Drogenpolitik durchgesetzt – erbarmungslos und ohne Rücksicht: "Die haben Kampfhubschrauber gegen Hanfpflanzen eingesetzt". Die Zeit der Prohibition sei jedoch vorbei, eine Bewegung, die "ausgerechnet in den USA" ihren Anfang genommen habe. Seit Januar 2014 ist [lexicon]Cannabis[/lexicon] im US-Bundesstaat Colorado frei verkäuflich ist. Ein Anfang sei also gemacht. Und in Kreuzberg, "einem kleinen gallischen Dorf", wie er sagt, ist er seinem Ziel näher als in jedem anderen Bezirk Deutschlands: der kontrollierten Abgabe von [lexicon]Marihuana[/lexicon]. Denn dank der Grünen denkt Kreuzberg seit einem Jahr laut genau darüber nach: über die Eröffnung von Coffeeshops.
Kreuzberg hat ein Problem mit den vielen Dealern. Die werden immer aufdringlicher, es gibt ernsthafte Sicherheitsbedenken, da sind sich Anwohner und Politiker selten einig. Passanten werden gezielt angesprochen, oft belästigt. Auch Kinder und Mütter mit Familien, vielen reicht es jetzt. Die Polizei bekommt den Handel, insbesondere im Görlitzer Park, mit den ihr zu Verfügung stehenden Maßnahmen nicht in den Griff.
Wie das mit den Coffeeshops gehen soll
Vor gut einem Jahr, im November 2013, hatten die Kreuzberger Abgeordneten das Bezirksamt deswegen damit beauftragt, die nötigen Schritte einzuleiten, um einen Antrag für einen Modellversuch für eine kontrollierte Cannabis-Abgabe zu stellen. Coffeeshops also, mitten in Berlin. Der Spott darauf ließ nicht lange auf sich warten: Kreuzberg, die Kifferhochburg, war ja klar.
Mit Spott kennt Monika Herrmann, die grüne Bezirksbürgermeisterin, sich aus. Deswegen weiß sie auch, wie man den Kritikern den Wind aus den Segeln nimmt. "Es geht uns nicht um ein Happy-Kiffer-Land" stellt sie klar. "Es geht um Kontrolle." Der Irrtum der Kritiker sei, dass die Grünen in Kreuzberg eine "lustige Freigabe" wollten, aber Drogen nicht Ernst nähmen. Dabei sei genau das der Fall. Man habe den Modellversuch angestoßen, weil etwas passieren müsse. Die derzeitige Situation sei nicht tolerierbar, im Sinne des Jugendschutzes müsse man die Abgabe regulieren. "Wir drehen ja nicht völlig frei. Natürlich wird es Regeln geben".
Um herauszufinden, welche Regeln das sein könnten, diskutieren also auf der "Zukunftswerkstatt [lexicon]Cannabis[/lexicon]" Experten mit Hanfaktivisten und Kiezbewohnern. Nicht in einem schummrigen Hinterhaus, sondern im Rathaus von Kreuzberg. In Gesprächsrunden soll hier geklärt werden, wie das gehen kann, mit den Coffeeshops.
"Ich rauche seit 45 Jahren [lexicon]Marihuana[/lexicon]"
"Eingeladen sind alle", so hieß es im Flyer, "die sich konstruktiv an der Diskussion beteiligen wollen." Das hat auch ganz gut geklappt. Konstruktiv erklärte Besucherin: "Ich bin 62 Jahre alt. Ich rauche seit 45 Jahren [lexicon]Marihuana[/lexicon]." Sie will nicht "im Görlitzer Park rumlaufen wie ein Vollidiot", um sich einen Joint drehen zu können. Wann sie mit der Eröffnung der Coffeeshops rechnen könne? "Es wird noch viele Jahre dauern", so die Einschätzung der Expertem. Sie ist entsetzt. "Was? Dann bin ich ja schon 80!"
Das Modellprojekt muss der Bezirk einen Antrag beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte stellen. Eine To-Do-Liste für den Antrag sieht so aus: Erstens muss der Bezirk zeigen, dass an dem Modellversuch öffentliches Interesse besteht. Das dürfte nicht so schwer sein, denn dass die Drogendealer für viele Anwohner ein Problem darstellen, ist kein Geheimnis. Und zweitens auf den wissenschaftlichen Zweck. So schreibt es das Betäubungsmittelgesetz vor.
Regulierter Verkauf steht in Uruguay kurz bevor
Ein Schwerpunkt des Modellversuchs soll sein, herauszufinden, wie Suchtprävention und Suchthilfe mit einer kontrollierten Abgabe von [lexicon]Cannabis[/lexicon] in Einklang zu bringen sind. Es geht aber auch darum, herauszufinden, wie sich eine Entkriminalisierung des Cannabis-Handels auf die Sicherheitssituation im Kiez auswirkt. Ein Beispiel, das oft genannt wird an diesem Tag, ist das Land Uruguay. Dort steht ein regulierter Verkauf von [lexicon]Cannabis[/lexicon] kurz bevor. Und auch in Uruguay ist diese Legalisierung Teil eines sicherheitspolitischen Projektes. Wie genau dort der Stand der Dinge sei? "Im Hanfblatt", wirft einer aus dem Publikum ein, "gibt es einen guten Artikel dazu".
Herr Wurth dürfte zufrieden sein über so viel Interesse. Denn sein Ziel hat er klar vor Augen. Alle zehn Jahre entscheide die UNO neu über [lexicon]Cannabis[/lexicon]. 2016 sei die nächste Sitzung. Dafür brauche man Lobby. Kreuzberg ist ganz vorne mit dabei.
Quelle:
Chill out. hemp_blatt