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Cannabis kann tödlich wirken? Neue Berichte stützen These
Düsseldorf.Mit einer Fallstudie zu möglichen tödlichen Folgen von Cannabis-Konsum hatten Düsseldorfer Rechtsmediziner Wirbel ausgelöst. Nun gibt es neue Fälle.
Man möge sie steinigen, aus dem Job 'rauswerfen oder den Doktor-Titel aberkennen: Mit ihrer Fallstudie zu möglichen tödlichen Folgen durch Cannabis-Konsum haben vier Rechtsmediziner des Düsseldorfer Uniklinikums und der Universität Frankfurt/Main im Februar vor einem Jahr international für Aufsehen gesorgt - und für Empörung und Wut bei Cannabis-Fans. Dies auch, weil die Fallstudie vielfach verkürzt dargestellt wurde.
Nun gibt es neue Berichte, die in die gleiche Richtung deuten: dass Cannabis bei ansonsten gesunden Menschen zum plötzlichen Herztod führen kann.
Im jüngst veröffentlichten Bericht im renommierten "Journal of Electrocardiology", einer US-Fachzeitschrift von und für Internisten, findet sich die Fallstudie "Cannabis induced asystole". Die Autoren berichten über den plötzlichen Herzstillstand eines 28-jährigen Cannabis-Konsumenten. Das Besondere hier: der Patient war nach einem Autounfall in der Notaufnahme einer Klinik. Er erlitt dort einen Herzstillstand und überlebte. Dabei wurden erstmals EKG-Daten dokumentiert. Das Fazit der Ärzte: Der Cannabis-Wirkstoff [lexicon]THC[/lexicon] könne auch "katastrophale Nebenwirkungen" haben, die bis dato kaum bekannt seien und weiter erforscht werden sollten.Birgt Cannabis mehr Risiken als bekannt?
Cannabis gilt nicht nur in Deutschland als die am weitesten verbreitete illegale Droge. Viele halten Haschisch oder Marihuana für weniger gefährlich als Alkohol oder Tabak, berichtete etwa die jährlich in Frankfurt/Main erhobene repräsentative Studie zum Drogengebrauch von Jugendlichen ("MoSyD") bereits 2013. Eine Sicht, die sich langsam aber sicher gesamtgesellschaftlich durchsetze.Befördert werde dies auch, weil einige US-Bundesstaaten inzwischen die Verbreitung von Marihuana legalisiert haben . Aber birgt Hanf womöglich Risiken, über die bekannten hinaus, wie Bronchitis, Psychosen oder Drogensucht?
"Die Menschheit ist seit Jahrtausenden mit Hanf umgegangen", argumentiert Georg Wurth, Chef des deutschen Hanf-Verband und einer der Kämpfer für die Legalisierung von Cannabis in Deutschland.
Er glaubt, dass der Nutzen von Hanf - etwa als Arzneimittel - die möglichen Risiken bei weitem übersteige. Die Zahl der Cannabis-Toten stehe in keinem Vergleich zur Zahl derer, die am Alkohol zugrunde gehen oder durchs Rauchen. Ja, es gebe sogar viel mehr Tote nach Aspirin-Missbrauch als durch Cannabis, behauptet Wurth; Relativieren ist eine der Argumentationsstrategien von Cannabis-Befürwortern.Die Aussagekraft von Fallstudien wie die der Düsseldorfer Rechtsmediziner hält Wurth zudem für "fragwürdig"; die empirische Basis sei viel zu dürftig. Solche Fallberichte trügen aber leider dazu bei, Cannabis weiter zu tabuisieren.
"Man kann von Einzelfällen nicht auf alle Konsumenten schließen"
Bislang nimmt man in der Wissenschaft im Großen und Ganzen an, dass Cannabis tatsächlich eine nur geringe Toxizität hat. Todesfälle seien wenige bekannt, zumal die meisten Drogenkonsumenten jung sind.
Dies hinterfragt jedoch mittlerweile eine EU-Studie, die in Notaufnahmen von Krankenhäusern in zehn europäischen Ländern erstmals gezielt Daten zu Drogen-Patienten sammelte. Unter knapp 2200 untersuchten Fällen war in diesem Februar in einem Zwischenbericht zu lesen, dass sich immerhin ein Todesfall fand, wo bei einem 18-Jährigen ein plötzlicher Herzstillstand auf Cannabis-Konsum zurückgeführt wurde, ohne dass eine Vorerkrankung a, Herzen festgestellt worden sei."Man kann von solchen Einzelfällen nicht auf alle Cannabis-Konsumenten schließen", haben schon die Rechtsmediziner in Düsseldorf zu ihrer Fallstudie im Februar 2014 betont; nach eigener Aussage ohnehin "die unterste Stufe wissenschaftlicher Studien". Dieser nicht unwichtige Hinweis sei in der breiten medialen Berichterstattung zumeist untergegangen. Gleichwohl führten die Rechtsmediziner damals bereits mehrere ähnliche Fälle an.
Konkret ging es um Todesfälle zweier Briten und Berichte einer norwegischen Forscherin zu sechs Toten. Diese Fälle deuteten auf gravierende Nebenwirkungen, die zwar als sehr selten eingeschätzt werden müssten - die aber dennoch auftreten könnten und deshalb ernst zu nehmen wären.
Bund bringt "Cannabis-Agentur" auf den Weg
"Vieles an Cannabis ist noch unerforscht", sagt ein Sprecher von Marlene Mortler, Drogenbeauftragte der Bundesregierung. Gleichwohl gebe es "irrsinnig viele Studien weltweit". Die würden in Berlin derzeit "strukturiert zusammengefasst". Denn die Bundesregierung hat jüngst einen Gesetzentwurf auf den Weg gebracht, der die Versorgung mit Cannabis für den medizinischen Gebrauch verbessern will.Der Bund plant, eine "Cannabis-Agentur" zu gründen, die Menge und Qualität medizinisch genutzten Hanfs künftig garantieren soll. Vorbild dazu sind die Niederlande. Eine Legalisierung von Cannabis sei indes nicht geplant.
Bis dato ist Hanf als Arzneimittel nur mit enormem behördliche Aufwand legal zu beziehen, meist zur Schmerztherapie. Aktuell haben insgesamt 588 schwer Kranke bundesweit die behördliche Genehmigung durch das zuständige Bundesinstitut für Arzneimittel. Davon dürfen 506 Patienten in Apotheken auch Cannabisblüten erwerben, in NRW sind es 118.
Im Hanf-Verband glaubt man, dass es in Deutschland jedoch eine Million Patienten gebe, denen Cannabis sehr gut helfen würde und wünscht sich von der Bundesregierung daher auch deutlich niedrigere Schwellen für Patienten, an Medizinalhanf zu kommen.
Pharmaunternehmen könnte Forschung zu Risiken vorantreiben
Auch ein Pharmaunternehmen hat in diesem Jahr den Vorstoß gewagt, ein auf Cannabis basierendes Medikament in Deutschland zuzulassen. Und klagt nun vor dem Verwaltungsgericht Köln. Denn das Bundesinstitut für Arzneimittel hat sich quergestellt und verlangt vom Hersteller Bionorica genaue Studien zu Wirkung und Risiken seines geplanten Medikaments Kachexol. Das soll die Schmerztherapie bei Krebs- und Aidspatienten revolutionieren.Der Hersteller Bionorica kündigte jüngst in der Deutschen Apotheker Zeitung an, trotz Klage die geforderten Studien durchzuführen. Dies aber dürfte "einige Jahre dauern".
Vielleicht gibt es dann endlich eine stichhaltige Antwort auf die Frage zum Risiko eines plötzlichen Herztods bei Cannabis-Konsum. Aus Sicht der Düsseldorfer Rechtsmediziner ist die entscheidende Frage: "Welche Gruppe von Personen in der Gruppe der Cannabis-Konsumenten trägt das Risiko, Herzrhythmusstörungen zu erleiden, obwohl genetisch keine Vorerkrankungen vorliegen?" Eine Antwort kann man wohl schon jetzt geben: es betrifft nicht alle Cannabis-Konsumenten.
Quelle:
derwesten.de