Legaler Cannabis-Anbau hat eine fatale Nebenwirkung
Längst sind Marihuana und andere Cannabisprodukte in vielen US-Staaten legalisiert, doch der Wirkstoffgehalt der Produkte fällt unter Kunstlicht viel höher aus. Forscher warnen vor Problemen.
Kiffen wird in den USA zunehmend zum Freizeitvergnügen: Das einst
stockkonservative Denver im Bundesstaat Colorado etwa avanciert zum
beliebten Ausflugsziel für Cannabisfans, die in Partybussen durch die
Stadt touren und dabei entspannt ihre Joints rauchen.
Es gibt organisierte Wochenendtrips, eine blühende Cannabisindustrie mit Rekordzuwächsen und ganze Kleinstädte, die dank der Freigabe für den privaten Gebrauch ihre vormals maroden Haushalte wirtschaftlich sanieren.
Für medizinische Zwecke ist Cannabis in fast der Hälfte der US-Bundesstaaten zugänglich. Acht Bundesstaaten haben inzwischen aber auch die Freizeitnutzung komplett legalisiert. In der Hauptstadt Washington ist der Gebrauch ebenfalls legal, der kommerzielle Verkauf hingegen verboten – was zu einfallsreichen gegenseitigen „Schenkaktionen“ führt.
Die Angebotspalette für sogenannte Edibles, essbare Cannabisprodukte, geht durch die Decke und reicht von Schokolade in den Geschmacksrichtungen Pistazie-Minze oder Erdbeer-Crunch über Gummibärchen bis zu Knoblauch-Crackern.
Und in Kalifornien, dessen Einwohner im November ebenfalls für die Komplettfreigabe stimmten, entstehen Fahrdienste, die Cannabisprodukte direkt nach Hause liefern. Konservativen Gegenstimmen zum Trotz: In einer Gallup-Umfrage gab 2016 jeder achte erwachsene Amerikaner an, derzeit Cannabis zu konsumieren, bald jeder zweite hatte es zumindest schon einmal ausprobiert.
Auch Portugal und Tschechien ziehen nach
In Europa sind die Vorbehalte stärker – und die Legalisierung für den Privatgebrauch ist längst nicht so weit fortgeschritten. 2015 waren es dem European Drug Report zufolge in 13 Staaten insgesamt 16,6 Millionen junge Menschen zwischen 15 und 34 Jahren, die im Vorjahr Cannabis konsumiert hatten. Cannabishochburg Nummer eins in Europa ist dabei nach wie vor Amsterdam mit seinen Coffee Shops. Aber auch Tschechien, wo der Anbau für medizinische Zwecke jedermann erlaubt ist, Portugal sowie Barcelona mit seinen Cannabisklubs ziehen reisefreudige Konsumenten an.
In Anbetracht des auch wirtschaftlich befeuerten Trends untersuchen Wissenschaftler verstärkt, wie sicher Cannabis ist und wie man es sicherer machen könnte. Denn: In den vergangenen vier Jahrzehnten hat sich der Wirkstoffgehalt der Produkte nach Analysen im Durchschnitt verdoppelt.
Forscher aus Philadelphia fanden kürzlich heraus, dass Marihuanagebrauch unter bestimmten Voraussetzungen das Risiko für einen Schlaganfall um zehn Prozent, für Herzversagen um 26 Prozent gegenüber Nichtnutzern erhöhen kann.
Das berichtete das Team des Einstein Medical Center nach der Analyse von mehr als zwei Millionen Klinikdaten erwachsener US-Patienten – unter Herausrechnung sonstiger Faktoren wie Übergewicht oder hohem Blutdruck. Da die Daten sich jedoch auf erkrankte Menschen bezogen, seien sie nicht eins zu eins auf die Gesamtbevölkerung übertragbar. Auch die Gründe blieben zunächst unklar.
Im Kunstlicht wächst und gedeiht es besser – leider
Daneben mehren sich Anzeichen, dass in den USA und Europa die Zahl der Hilfesuchenden wächst, denen ihr Cannabiskonsum echte Probleme bereitet. Für ein britisches Forscherteam liegt der Hauptgrund dafür in der Kombination zweier Hauptwirkstoffe: Tetrahydrocannabinol (THC), das für die Rauschwirkung verantwortlich ist, und Cannabidiol (CBD), das kaum psychoaktiv wirkt und auch medizinisch verwendet wird.
In vielen neuen, oft unter Kunstlicht wachsenden Züchtungen sei der THC-Gehalt der Hanfpflanzen deutlich höher als bei traditionell im Freien gezogenen Gewächsen. Gleichzeitig habe sich der Anteil von CBD in den Pflanzen teils bis auf null verringert. Es gebe aber Hinweise, dass CBD vor unerwünschten Wirkungen des THC wie Gedächtnislücken und Angstzuständen schützen könne, schreiben Amir Englund und Kollegen vom Londoner King’s College im Fachjournal „Lancet“.
„Obwohl die meisten Nutzer keinerlei Probleme entwickeln werden, ist es wichtig, dass wir nun, wo Cannabis zunehmend liberalisiert wird, neue Wege finden, um mögliche Schäden durch Cannabis reduzieren zu können“, betont Englund. Co-Autor Tom Freeman ergänzt: „In den vergangenen acht Jahren ist in Großbritannien die Zahl der Menschen, die sich wegen Cannabis in Behandlung begeben haben, um mehr als 50 Prozent gestiegen.“
Quelle: USA und Europa: Legaler Cannabis-Anbau hat eine fatale Nebenwirkung - WELT