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hier mal wieder was Neues aus Südamerika:
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Legalisierung von [lexicon]Marihuana[/lexicon] in Uruguay - Scheitern im Versuchslabor
Der Krieg gegen die Drogen gilt in vielen Ländern Lateinamerikas als gescheitert. Uruguay wollte mit liberalen Regeln Vorreiter einer neuen Politik sein. Doch das Gesetz bleibt Stückwerk.
Seit Jahr und Tag gibt es in der westlichen Hemisphäre keine zwischenstaatlichen Kriege. Zuletzt kreuzten Honduras und El Salvador im sogenannten Fußballkrieg im Juli 1969 für gerade einmal 100 Stunden die Waffen. Zuvor hatten Bolivien und Paraguay sich im Chaco-Krieg von 1932 bis 1935 gegenüber gestanden. Der bolivianische Schriftsteller Augusto Céspedes (1904 bis 1997) berichtete seinerzeit über das sinnlose Gemetzel um ein Stück Steppe, unter dem sich entgegen fiebriger Erwartungen beider Kriegsparteien kein Öl finden sollte. Der Sammlung seiner Reportagen gab Céspedes später den treffenden Titel „Heldenchroniken aus einem dummen Krieg“.
Dass es in den Jahrzehnten nach dem Chaco-Krieg in Amerika rundweg klug und friedlich zugegangen wäre, kann man freilich auch nicht sagen. Was Waffengänge zwischen Staaten nicht anrichten konnten, das taten sich viele Nationen Lateinamerikas selbst an. Rechte Diktatoren und linke Rebellen führten Krieg gegen Feinde im eigenen Land. Und Drogenkartelle verwandelten Städte wie Cali und Medellín in Kolumbien, Guatemala-Stadt und das honduranische San Pedro Sula in Mittelamerika, Tijuana und Ciudad Juárez an der Grenze Mexikos zu den Vereinigten Staaten in urbane Kriegsschauplätze.
„War on Drugs“ seit vier Jahrzehnten
Die Rede vom Krieg ist hier nicht metaphorisch gemeint. Das zeigen zuvorderst die Zehntausenden Toten, aber auch die anhaltenden Verheerungen für die Gesellschaften und Volkswirtschaften vieler lateinamerikanischer Staaten und schließlich die Rede vom „War on Drugs“, den Präsident Richard Nixon schon 1971 ausrief.
Diesen Krieg führen die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten in Lateinamerika seit mittlerweile gut vier Jahrzehnten. Kürzlich hat der frühere mexikanische Präsident Vicente Fox, der in seiner Amtszeit von 2000 bis 2006 selbst mitten in diesem Krieg stand, lapidar Bilanz gezogen: „Der Krieg gegen die Drogen hat nirgendwo in der Welt funktioniert - es ist eine verlorene Sache.“ Es sei deshalb an der Zeit, etwas Neues zu versuchen: „Regulieren statt Verbieten!“ Fox steht nicht alleine mit dieser Ansicht.
In Guatemala-Stadt kamen vom 19. bis zum 21. September die Vertreter der 35 Mitgliedsländer der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) zusammen, um über neue Strategien im Umgang mit Drogen zu sprechen. Neben Fox haben sich auch zahlreiche andere ehemalige Staats- und Regierungschefs aus der Region - Fernando Henrique Cardoso aus Brasilien, Ernesto Zedillo aus Mexiko und César Gaviria Trujillo aus Kolumbien - wie auch der frühere UN-Generalsekretär Kofi Annan für einen neuen Ansatz ausgesprochen. Doch von einem Konsens sind die Länder der OAS so weit entfernt wie die Vereinigten Staaten selbst, die seit je der größte Absatzmarkt für die in Süd- und Mittelamerika hergestellten Drogen sind.
Amerika: [lexicon]Marihuana[/lexicon] nicht bundesweit legalisiert
In den amerikanischen Bundesstaaten Colorado und Washington ist der Konsum von [lexicon]Marihuana[/lexicon] inzwischen vollständig legalisiert, wenn auch in unterschiedlicher Form reguliert. In weiteren 23 Teilstaaten sowie in der Bundeshauptstadt Washington ist der Gebrauch von [lexicon]Marihuana[/lexicon] zu medizinischen Zwecken erlaubt, wobei Ausstellung und Kontrolle der erforderlichen Rezepte unterschiedlich gehandhabt werden.
Doch im Kongress in Washington ist bisher keine Mehrheit absehbar für eine bundesweite Legalisierung von [lexicon]Marihuana[/lexicon], von harten Drogen wie Kokain, Heroin oder Methamphetamin zu schweigen. Die Regierung unter Präsident Barack Obama hat in der Streitfrage, ob zunächst die „weiche“ Droge [lexicon]Marihuana[/lexicon] national und womöglich international legalisiert werden soll, keine Positionsänderung vollzogen: Auch den „War on Drugs“ wird Obama in den letzten zwei Jahren seiner Amtszeit nicht zu Ende bringen.
Neuer Präsident, alte Probleme?
In Lateinamerika und auch darüber hinaus ist unterdessen das Experiment in Uruguay unter Präsident José Mujica als Modell für den neuen Umgang mit [lexicon]Marihuana[/lexicon] gepriesen worden. Der frühere Tupamaro-Guerrillero José „Pepe“ Mujica hat sich mit Geschick zur internationalen Kultfigur einer liberalen Öffnung nicht nur Uruguays, sondern des gesamten südamerikanischen Halbkontinents mit seiner überkommenen Macho- und Caudillo-Kultur stilisiert. Doch es könnte sein, dass die von Mujica und seinem linken Parteienbündnis „Frente Amplio“ (Breite Front) schon im Juli 2013 durchgesetzte Legalisierung von [lexicon]Marihuana[/lexicon] nach dem Ende von Mujicas Amtszeit im kommenden März wieder kassiert wird.
Am 26. Oktober werden in Uruguay ein neuer Präsident und ein neues Parlament gewählt, und nach jüngsten Umfragen kann sich die Opposition um Präsidentschaftskandidat Luis Lacalle Pou von der konservativen Nationalen Partei gute Chancen ausrechnen, das höchste Staatsamt und auch die Mehrheit im Parlament zurückzuerobern.
Der 41 Jahre alte Lacalle Pou, Sohn des von 1990 bis 1995 regierenden Präsidenten Luis Alberto Lacalle, ist ein entschiedener Gegner der von Mujica durchgesetzten Legalisierung von [lexicon]Marihuana[/lexicon]. Er hat angekündigt, das Gesetz im Falle eines Wahlsieges umgehend zu kassieren. Mit dieser Haltung weiß Lacalle Pou die große Mehrheit der Uruguayer hinter sich: In Umfragen äußern sich fast zwei Drittel gegen die Legalisierung von [lexicon]Marihuana[/lexicon].
Oder jedenfalls gegen das Gesetz in der jetzigen Form. Auch Lacalle Pous Haltung, wonach er „unser Gesetz hier“ ablehne, lässt Spielraum für Interpretationen: Ist er für ein umfassendes Verbot von [lexicon]Marihuana[/lexicon] oder nur für ein anderes Gesetz zur Regulierung von dessen Produktion, Vertrieb und Verbrauch?
Tatsächlich wurde in Uruguay Privatpersonen der Besitz von [lexicon]Marihuana[/lexicon] schon 1974 erlaubt; verboten blieben bis 2013 aber Anbau und Verkauf. Das hatte zur Folge, dass man illegal erwerben musste, was man legal besitzen durfte. Seit der Verabschiedung des neuen Gesetzes ist zwar der private und auch der kommerzielle Anbau von Cannabis-Pflanzen erlaubt: Privatleute dürfen zu Hause bis zu sechs Pflanzen ziehen, sogenannte Cannabis-Clubs können bis 99 Pflanzen anbauen.
Doch die vorgesehenen gesetzlichen Regelungen für den Vertrieb und den Erwerb von [lexicon]Marihuana[/lexicon] sind bis heute nicht durchgesetzt. Das Gesetz hängt buchstäblich in der Luft und wird wohl kaum bis zum Ablauf von Mujicas Amtszeit Ende Februar auf festen Füßen stehen. Pro Monat soll jeder volljährige Bürger Uruguays 40 Gramm [lexicon]Marihuana[/lexicon] erwerben dürfen.
Behörde für Qualität und Reinheit
Ausländer sollen nicht kaufen dürfen, um den Haschisch-Tourismus nicht anzufeuern. Der Preis soll auf umgerechnet etwa 80 Eurocent pro Gramm [lexicon]Marihuana[/lexicon] festgelegt werden. Qualität und Reinheit der Ware sollen von der neugeschaffenen Behörde „Institut für Regulierung und Kontrolle von Cannabis“ (Ircca) überprüft werden. Als Verkaufsstellen sollen einzig Apotheken zugelassen werden, jeder Käufer muss sich dort registrieren.
Die Apotheker Uruguays wollen aber nicht zu Staatsdealern für [lexicon]Marihuana[/lexicon] und zugleich zu Kontrolleuren im Auftrag der neuen Behörde Ircca werden. Alkohol und Zigaretten seien schließlich im freien Verkauf erhältlich, argumentieren sie, und ein Register von Spirituosen- und Tabakkäufern gebe es auch nicht. Der Präsidentschaftskandidat der linken „Frente Amplio“, Tabaré Vázquez, der schon von 2005 bis 2010 Präsident war, gab jüngst in einem Rundfunkinterview zu, dass die Registrierung von Marihuana-Käufern in den Apotheken letztlich dem Ziel diene, deren Drogenkonsum zu überwachen, sie vom [lexicon]Marihuana[/lexicon] abzubringen und ihnen Therapien anzubieten.
Liberalisierungs-Gesetz steht in Frage
Vázquez’ „therapeutischer“ Ansatz bei der Freigabe von [lexicon]Cannabis[/lexicon], den prinzipiell auch Präsident Mujica teilt, bringt die Verfechter einer allgemeinen Liberalisierung des Konsums von [lexicon]Marihuana[/lexicon] auf. Andere nehmen daran Anstoß, dass Uruguays Konsumenten beim Kauf von Mineralwasser 22 Prozent, von Bier 27 Prozent und von Zigaretten sogar 68 Prozent Mehrwertsteuer bezahlen, dass der Erwerb von [lexicon]Marihuana[/lexicon] aber vorerst steuerfrei sein soll.
Das beschauliche Uruguay mit seinen gerade einmal 3,4 Millionen Einwohnern, mit funktionierenden Institutionen und sicheren Lebensverhältnissen galt zu Recht als das geeignete Versuchslabor für die Durchsetzung einer neuen Drogenpolitik. Doch das als Markstein gefeierte Gesetz zur Liberalisierung des Marihuana-Konsums ist bisher nicht nur Stückwerk geblieben, es steht bei den Wahlen vom 26. Oktober als Ganzes zur Disposition.
Derweil ist weder in der OAS noch in den Vereinigten Staaten ein Konsens für eine umfassende Wende in der Drogenpolitik oder auch nur für eine Abkehr vom gescheiterten Krieg gegen die Drogen erkennbar. Beim Umgang mit Drogen sind Gewohnheiten hartnäckig, gerade wenn sie schädlich sind.
Quelle:
Krieg gegen Drogen in Lateinamerika: Uruguay als Vorreiter
Chill out. hemp_blatt