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Cannabis aus dem Wohnzimmer - Immer mehr Plantagen in Berlin
Zahl der entdeckten Fälle hat sich verdoppelt. Bundeskriminalamt geht allein in Berlin von 30.000 Cannabis-Rauchern aus.Die Pächter einer Kleingartenanlage in Tegel staunten nicht schlecht, als auf ihrem Areal vor einigen Wochen ein Trupp Erntehelfer der besonderen Art anrückte. Ein halbes Dutzend Polizisten steuerte, mit Hacken und Schaufeln bewaffnet, zielstrebig eine etwas heruntergekommen wirkende Parzelle an. Dort reiften zwischen Kirschbäumen, Stachelbeersträuchern und einem Radieschenbeet mehr als 100 Cannabispflanzen – Rohstoff für bis zu zehn Kilogramm Haschisch.
Was die Kleingärtner in Tegel in Erstaunen versetzte, ist längst nichts Ungewöhnliches mehr. Bei den so genannten weichen Drogen geht der Trend zum Eigenanbau, haben Strafverfolgungsbehörden und Drogenexperten übereinstimmend festgestellt. Nach einer Statistik des Landeskriminalamtes (LKA) hat sich die Zahl der entdeckten Cannabis-Plantagen in den vergangenen fünf Jahren nahezu verdoppelt. 2010 waren es noch 41 Fälle, im vergangenen Jahr wurden die Beamten 79 Mal fündig. Dabei stießen sie auch auf vier Großplantagen mit mehr als 1000 Pflanzen. In diesem Jahr sieht es einem LKA-Fahnder zufolge so aus, als könne die Zahl von 2014 nochmals übertroffen werden.
Entdeckt werden die illegalen Aufzuchtanlagen nicht nur in Kleingärten, sondern auch in leerstehenden Gewerberäumen sowie immer wieder und zunehmend häufiger in Wohnungen. Doch die entdeckten Plantagen sind wohl nur die Spitze des Eisbergs. Darauf deutet hin, dass bei den allermeisten Fahndungserfolgen bislang vor allem "Kommissar Zufall" half.
Mieter verweigern bei einem Brand Feuerwehrleuten Zutritt
So wollten Ende Juli in Marienfelde Feuerwehrleute nach einem Brand in einem Mehrfamilienhaus die Nachbarwohnungen auf mögliche Schäden inspizieren. Ein Mieter fiel auf, weil er sich standhaft weigerte, sie in seine Wohnung zu lassen. In Charlottenburg erregte ein Mieter im Mai Aufmerksamkeit, weil er Technikern auf der Suche nach der Ursache eines Wasserschadens überaus energisch den Zutritt zur Wohnung verwehrte. In beiden Fällen wurde die Polizei hinzugezogen, die dann in den Wohnungen illegale Plantagen entdeckte.In Wedding wollte eine Funkstreifenbesatzung ebenfalls im Mai in einem Mehrfamilienhaus lediglich einen Haftbefehl wegen einer nicht bezahlten Geldstrafe vollstrecken. Den Gesuchten trafen die Beamten nicht an, dafür bemerkten sie im Hausflur den typisch süßlichen Geschmack von Cannabis. Der Rest war Formsache, ebenso wie in einem weiteren Fall im Frühjahr in Lichterfelde. Dort führte die Verfolgung eines Verdächtigen nach einem Sprengstoffanschlag auf einen Geldautomaten Beamte direkt in die zur Plantage umgewandelte Wohnung des Mannes.
Ihren größten Erfolg auf diesem Gebiet verdankt die Berliner Polizei in diesem Jahr dennoch eigenen intensiven Ermittlungen. Die brachten die Fahnder des LKA Anfang Juli auf die Spur einer angeblichen Gartenbaufirma in Mariendorf. Die Bezeichnung Gartenbau war so falsch nicht, was da allerdings in einer 3000 Quadratmeter großen Lagerhalle eines Gewerbehofes reifte, waren 19.000 Cannabispflanzen mit einem Straßenverkaufswert von rund 7,5 Millionen Euro. Die Aufzucht solcher Pflanzen, egal ob in der eigenen Wohnung oder in Großanlagen, ist ein lukratives Geschäft. Nach einem Lagebild des Bundeskriminalamtes (BKA) gibt es allein in Berlin etwa 20.000 regelmäßige Cannabis-Raucher, die täglich ein bis eineinhalb Gramm konsumieren. Hinzu kommen nach Einschätzung der Behörde nochmals 10.000 Gelegenheitskonsumenten. Demnach würden in Berlin jeden Tag 25 Kilogramm Marihuana geraucht, im Jahr annähernd also zehn Tonnen.
Profi-Anlage mit Scheinwerfern kostet im Internet 400 Euro
Die "Herstellung von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge ohne die dafür erforderliche Genehmigung" ist zwar eine Straftat, schwierig hingegen ist sie nicht. Dafür sorgen schon etliche Internetseiten, die Interessenten mit Rat und Hilfe zur Seite stehen. Für das Betreiben einer Cannabisplantage sei nicht wesentlich mehr erforderlich als für die Aufzucht von Küchenkräutern, heißt es auf einer dieser Seiten. Gerade einmal 400 Euro müssten investiert werden für eine professionelle Anlage mit Halogenscheinwerfern, hermetisch abgeschlossenen Kunststoffzelten, in Fachkreisen als "Growboxen" bekannt und einem ausgeklügelten Bewässerungssystem. Hinzu kommt diesem Ratgeber zufolge noch eine geringe Summe für die Setzlinge, aus denen relativ schnell bis zu zwei Meter hohe Hanfpflanzen werden. Beschaffen lässt sich das alles ebenfalls problemlos im Internet.Der vergleichsweise bescheidenen Investition stehen üppige Gewinnchancen gegenüber. Fünf bis sechs Ernten ließen sich aus einer Pflanze im Jahr erzielen, heißt es auf der Internetseite weiter. 20 bis 30 Gramm Marihuana pro Pflanze ernten Anfänger, Profis bringen es auf 100 Gramm, hat eine Studie im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums ermittelt. In Berlin bringt ein Gramm Marihuana beim Verkauf auf dem Schwarzmarkt derzeit zwischen sechs und zehn Euro.
Quelle:
Berliner Morgenpost