"Wer den freien Genuss von Cannabis befürwortet, nimmt inverantwortungsloser Weise den Tod von tausenden junger Menschen in Kauf",schimpfte Edmund Stoiber 1992 während einer Diskussion über Drogen-Gesetze. 25Jahre später ist Kiffen noch immer verboten, aber auch Stoiber dürfteinzwischen aufgefallen sein, dass man in den Nachrichten selten von Cannabis-Totenhört. Kiffen ist in derGesellschaft angekommen - das ist längst kein Geheimnis mehr. 2015 untersuchtedie Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) in einer Studie denCannabis-Konsum von Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Das Ergebnis: 17,7Prozent der Befragten im Alter von 18 bis 25 Jahren gaben an, während dervorangegangenen zwölf Monate mindestens einmal Cannabis konsumiert zu haben."Im Jahr 2008 waren es noch 11,8 Prozent", so die BZgA.
Der Konsum steigt also, bleibt in Deutschland aber weiterhin illegal. Inunseren Nachbarländern sieht das größtenteils ähnlich aus. AmsterdamerCoffeeshops gelten in den Niederlanden zwar schon lange alsTouristenattraktion. Der Cannabis-Konsum ist jedoch auch dort illegal, wirdaber bis zu einer bestimmten Grenze nicht geahndet.
Wer ganz legal kiffen will, dürfte neidisch zu unseren Nachbarn in derSchweiz schielen. Dort machte sich im letzen Sommer der Besitzer einesRauchershops auf den Weg zur Polizeiwache, um den Beamten eine spezielleCannabis-Sorte zu präsentieren. Seinem Lieferanten sei es gelungen, den THC-Wertseiner Hanfpflanzen auf unter einen Prozent zu züchten - damit fiele dasCannabis nicht mehr unter das Betäubungsmittelgesetz. Die Polizei stufte ihn zunächstals unglaubwürdig ein und konfiszierte sein Mitbringsel. Doch einige Wochen undUntersuchungen später erhielt der Ladenbesitzer eine positive Rückmeldung: SeinGras wurde freigegeben. Seitdem ist der Verkauf von Cannabis in der Schweizlegal - unter einer kleinen, aber bedeutenden Bedingung: Der Wertder psychoaktiven Substanz Tetrahydrocannabidiol, kurz THC, darf maximalbei einem Prozent liegen. THC ist der Bestandteil des Cannabis, derhauptsächlich für die berauschende Wirkung der grünen Droge sorgt. Somit solldas legale Cannabis nicht berauschend, sondern lediglich entspannend wirken.
"Die Cannabinoide in den 60er Jahren hatten einen THC-Gehalt von zwei bisfünf Prozent", erklärt Professor Ulrich Preuß, Facharzt für Psychiatrie,Psychotherapie und Suchtmedizin und stellvertretender Vorsitzender derDeutschen Gesellschaft für Suchtmedizin. "Die aktuellen Züchtungenenthalten bis zu 20 Prozent THC. Von dem in der Schweiz legalen Cannabis müssteman schon sehr viel konsumieren, um eine Rauschwirkung zu erzielen." Das THC-arme Cannabis wird auch CBD-Cannabis genannt. Was sich hinter der Abkürzungverbirgt, erklärt Preuß: "In einer Cannabis-Sorte können bis zu 500Substanzen enthalten sein, darunter mehr als 100 Cannabinoide. Eines davon istCannabidiol, kurz CBD. Potentiell schädliche Effekte wie halluzinatorischeEffekte oder Euphorisierung werden eher über das THC vermittelt. Dem CBD wird dagegeneine anxiolytische - also angstlösende und antipsychotische Wirkungzugeschrieben. Das bedeutet, es ist eher günstig, wenn eine Cannabissorte mehrvon dieser Substanz enthält." Das heiße aber nicht, dass die CBD-Varianteunbedenklich oder gar gesund sei, warnt Preuß. "Viele körperliche Schädenentstehen über die Begleitstoffe, vor allem beim Rauchen. Und da gibt es beimCannabis sehr große Überlappungen mit Tabak. Das ist ganz sicher gesundheitlichbedenklich."
Das THC-arme Cannabis fällt zwar nicht unter das Betäubungsmittelgesetzdoch das nutze laut Preuß vor allem dem Händler: "Somit kann man natürlichauch sehr viel mehr verkaufen." Denn wenn der Kunde große Mengenkonsumieren muss, um eine Wirkung zu spüren, nützt das vor allem einem: demHersteller. "Der Verbraucher hat das Gefühl etwas legales zu konsumieren,was irgendwas mit Cannabinoiden zu tun hat, das reizt ihn",so Preuß. Unddie Rechnung scheint aufzugehen - die legalen Cannabis-Shops boomen. In Zürichgibt es mittlerweile zahlreiche Läden, die etwa "Dr. Green" oder"Green Passion" heißen, mit Bioqualität werben und Cannabis-Sortenwie "Colorado Light" oder "Greenhouse Haze" ganz hip inWeck-Gläsern präsentieren. Cannabis ist kein Schmuddelkind mehr, sondernsalonfähig geworden. Zehn Euro müssen die Kunden für ein Gramm ungefährbezahlen. Das angeblich gesunde Kiffen trifft den Nerv der Zeit. Der Betreibervon Dr. Green gab an, monatlich Cannabis im Wert von bis zu 90.000 Euro zuvertreiben.
Als Suchtmediziner weiß Preuß die Gefahren einzuschätzen. "Mit demSuchtverhalten bei THC-armem Cannabis kann es sich ähnlich verhalten wie beidem Konsum von sogenannten Light-Zigaretten. Das steigert eher den Konsum, weilder Konsument mehr braucht, um eine Wirkung zu verspüren. Generell ist dieGefahr einer Abhängigkeit von Cannabis in etwa so einzuschätzen wie beimAlkoholkonsum - etwa einer von zehn Konsumenten entwickelt eine Konsumstörung,das bedeutet schädlicher Gebrauch oder Abhängigkeit. Somit ist Cannabiskeinesfalls risikolos, besondere Gefahren bestehen aber insbesondere beiregelmäßigem Konsum bereits im Kindes- und Jugendalter, was zu langfristigenpsychischen Schäden führen kann."
Ein Problem sieht Preuß in der unterschätzten Wirkung: "Wenn man sehrviel vom THC-armen Cannabis konsumiert, kann man durchaus auch davon eine Dosiserreichen, die kognitive Einschränkungen mit sich bringt." Da ein solchesProdukt dazu verleitet, mehr zu konsumieren, schließt der Experte nicht aus,dass es potenziell gefährlich ist, nach dem Konsum Auto zu fahren oderMaschinen zu bedienen. "Grenzwerte, die bei Verkehrstauglichkeit-Verfahrenverwandt werden, erreicht man bei ausreichendem Konsum der 'legalen' Substanz sicherlichauch irgendwann - auch wenn dafür sehr viel konsumiert werden muss", soPreuß.
Doch nicht nur im Straßenverkehr, sondern auch bei allgemeinen Kontrollenkann das schweizerische Produkt Probleme bereiten: Die Polizei kann daslegale Cannabis auf den ersten Blick nicht vom illegalen unterscheiden. Werkeine Lust hat, sein Gras von den Behörden einschicken und untersuchen zulassen, muss die Quittung jederzeit dabei haben.
Viele Cannabis-Konsumenten hoffen wahrscheinlich auf eine ähnliche Regelung fürDeutschland. Doch der Experte betrachtet eine solche Entwicklung als eherunwahrscheinlich: "Aktuell ist die Mehrheit der Bevölkerung immer nochgegen eine Legalisierung und die Politik konzentriert sich momentan auf diemedizinische Verwendung. Ich sehe da erst einmal keine Veränderung auf unszukommen." Stattdessen schlägt Preuß eine andere Regelung vor: "Einmöglicher Lösungsansatz wäre die kontrollierte Freigabe von Cannabis unterstrikter Berücksichtigung des Jugendschutzes. Dies setzt allerdings einepolitische und gesamtgesellschaftliche Diskussion - am besten europaweit -voraus."
Quelle: Kiffen light - so wirkt das legale Cannabis aus der Schweiz | STERN.de